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Kleidung aus Algenleder: Material der Zukunft?

Bea Brücker ist Modedesigner*in mit einem Faible für ein ganz besonderes Material. Nicht aus Seide oder Baumwolle ist ihre entworfene Kleidung, sondern aus Algenleder. Im Rahmen des Silberstreifen Awards 2021 haben wir Bea ausgezeichnet. Wie es dazu kam, dass sie den Fokus auf Biowear and Technologies legt und warum Designer*innen nicht nur Produkte gestalten, sondern auch gesellschaftliche Verantwortung tragen, erklärt sie im Interview.

 

Isabel Neuendorf: Was ist Biowear?

Bea Brücker: In diesen Designprozessem werden biologische Systeme integriert und dadurch versucht, eine neue Designpraxis zu schaffen. Nicht nur die Nähmaschine sondern auch Petrischalen und Zuchtbecken kommen zum Einsatz, um neue biobasierte und kompostierbare Materialien herzustellen. Es ist entscheidend eine zirkuläre Produktion zu entwickeln, um mit der Natur zu arbeiten, anstatt diese auszubeuten. Zirkuläre Systeme sind in der Natur überall zu finden. Es gilt nicht nur ein neues Material zu entwickeln, sondern auch von natürlichen Kreisläufen zu lernen und diese in die Modeherstellung zu übersetzen. Mein Ziel ist es, Menschen mit in den Designprozess zu integrieren, wenn ich eine soziale und ökologisch nachhaltige Kollektion entwerfe.

Du hast deinen Bachelor an der HAW Hamburg absolviert und bist dann an das Royal College of Art gegangen. Wie etabliert ist Biowear und Biodesign?

Zu Beginn meines Bachelors musste ich viel erklären, was Biodesign ist. Das war einer der Gründe, warum ich nach London gegangen bin, wo das Thema boomt und man sich in Biodesign Hubs besser vernetzen kann. Aber es ist noch eine Nische. Man muss mehr kämpfen, um Ernst genommen zu werden. Dafür hat man kein eingefahrenes System.

Sätze wie “Das lief schon immer so” oder “So funktioniert halt die Industrie” fallen im Biodesign nicht.

Viele Labels werben mit Kreislaufwirtschaft oder Recycling, um nachhaltiger wahrgenommen zu werden. Betrifft Greenwashing auch Biowear?

Das ist sicherlich ein Problem bei dem Werben mit Nachhaltigkeit. Viele sagen, ihre Designs sind biologisch abbaubar und beim genaueren Hinsehen sind es dann manchmal nur ein paar Inhaltsstoffe, die biologisch abbaubar sind. Hinzu kommt, dass häufig im allgemeinen Sprachgebrauch “biologisch abbaubar” mit “kompostierbar” oder “biobasiert” oft synonym verwendet werden, womit greenwashing ein noch leichteres Spiel hat.

Wo genau liegt der Unterschied?

Der teilweise sehr lange Zeitraum in dem das biologisch abbaubare Material zersetzt wird, sowie die zusätzlichen Bedingungen (z.B. Temperatur & zusätzliche Stoffe), die es braucht damit der Zersetzungsprozess überhaupt einsetzt, werden häufig nicht kommuniziert. Nicht selten entstehen sogar während des Zersetzens schädlichere Stoffe als bei dem Ursprungsmaterial. Außerdem fehlt es oftmals an Zeit und den nötigen Anlagen, daher landen viele dieser Materialien letztendlich doch auf der Verbrennungsanlage. Umso wichtiger ist es, über diese Dinge aufzuklären und mehr Transparenz zu schaffen. Ich wollte ein Material herstellen, was man schnell einkochen und wieder verwenden kann oder wenn man genug davon hat, als Dünger verwenden kann. Hierfür war mir wichtig, dass es es vollständig kompostierbar ist und weder zusätzlichen Energieaufwand benötigt noch Schadstoffe hinterlässt.

Wie bist du auf Algendleder gestoßen?

Ich wollte schon lange ein eigenes Material entwickeln, was in mehreren Teilen der Welt, ohne Verwendung von Süßwasser hergestellt werden kann. Angefangen habe ich mit Essigsäurebakterien, die auch heute noch Teil meiner Arbeit sind. Mit der Zeit fand ich die Eigenschaften von Algen immer spannender: Sie sind der Luftreiniger schlechthin. Allerdings sind Algen auch für Totzonen im Meer verantwortlich. Durch die Überdüngung der Landwirtschaft kommt zu viel Dünger ins Wasser. Dadurch wachsen zu viele Algen und es entstehen Totzonen, wo gar nichts leben kann. Dadurch, dass es eine Überpopulation von Algen gibt, hat mich diese als Ressource besonders interessiert.

Wie fühlt sich Algenleder an?

Algenleder fühlt sich an wie Leder, auch wenn es kein Lederersatz sein soll. Es lassen sich verschiedene Materialien mit unterschiedlichen Eigenschaften herstellen. Es kann sich wie robustes oder sehr geschmeidiges Leder anfühlen, wie Hartgummi oder auch wie Plastik. Die Beschaffenheit hängt davon ab, wie ich die Materialien in der Produktion mische.

Was beschäftigt dich gerade in deiner Arbeit?

Aktuell plane ich ein einheitliches Produktionssystem, was mir erlaubt, lokal meine Mode herzustellen. Wir entwickeln ein Designtool, dessen Algorithmus auf biologischen Systemen basiert. Ziel ist es, dass bis zu einem gewissen Grad jede*r seine eigene Kleidung mitdesignen kann. Darüber hinaus arbeiten wir an Maschinen, die die Verarbeitung des Algenleders vereinfacht.

Wie verstehst du deine Rolle und Verantwortung als Designerin?

Vor allem im Modedesign-Studium betrachtet man Design aus einer engen Definition. Vielen denke es ginge “nur” darum, Kleidung zu entwickeln. Das macht man in der Regel auch. Trotzdem hat man einen großen Wirkungsbereich als Designer*in.

Was meinst du damit?

Es geht mir darum, sich als Designer*in bewusst zu sein, welche Haltung ich durch mein Design einnehme. Deswegen war es mir wichtig, viel über die Industrie zu lernen und Fragen zu stellen: Für wen designe ich? Was bedeutet es, wenn ich bestimmte Gender durch eine Kollektion ausschließe? In welchem politischen Rahmen designe ich? Wie ist die Lieferkette? Wie sieht die politische Lage in den Ländern aus, aus denen ich Materialien beziehe?

Kann uns Biowear und Biodesign in der Bewältigung der Klimakrise weiterhelfen?

Der Erde ist es erstmal egal, wenn ich eine Jacke aus Algenleder an habe. Aufgrund der luftreinigenden Wirkung des Materials ist es vielleicht gut für den Raum, in dem ich gerade bin, aber es müssten viel mehr Leute dieses Material tragen, damit es einen Effekt auf die Feinstaubbelastung hat. Jedoch bin ich überzeugt davon, dass Biowear und Biodesign ein großes Potenzial haben, die Industrie zu transformieren um eine nachhaltige Zukunft zu gestalten. Aber es muss sich viel mehr wirtschaftlich verändern, wenn wir die Klimakrise aufhalten wollen.

Du sprachst an, wie sehr das Design-Studium das eigene Verständnis als Designer*informt. Was würdest du dir für zukünftige Studierende in der Mode wünschen?

Ich wünsche mir, dass sich der Begriff Modedesign mehr öffnet. In Teilen gibt es eine Art Gatekeeping in der Ausbildung. Teilweise hörte ich von Dozierenden: “Das ist keine Mode, das ist Kostümdesign oder das ist Kunst.”

 

Wir brauchen mehr Offenheit und Förderung für für neue Ideen und Kooperationen. Die Zukunft kann nur interdisziplinär gelöst werden.

Was stört dich daran?

Die Zukunft kann nur interdisziplinär gedacht werden. Wir können nur Lösung für die aktuellen Probleme in der Welt finden, indem wir zusammenarbeiten und uns für neue Ideen öffnen. Wir können nicht so weitermachen wie zuvor. Modedesign besteht nicht nur aus technischen Zeichnungen und Nähen. Wir brauchen mehr Offenheit und Förderung für neue Ideen und Kooperationen. Auch für Studierende. Es wäre großartig zu sehen, wenn sich noch mehr Hochschulen aus dem Design zusammenschließen und etwa mit Biolog*innen, Ingenieur*innen und Computer Scientists arbeiten.

Du möchtest mehr über Bea Brücker erfahren? Auf Instagram und auf ihrer Website teilt sie regelmäßig Updates und gibt Einblicke in ihre Arbeit. 

Fotos: Photography Johann Spindler, Models: Kaiden Ford, Esther Durotolu, Karjai Lisbie 

 

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