Ansässig in Offenbach, entwirft Sebastian Herkner Möbel und Objekte für renommierte Firmen wie Thonet, Dedon, ClassiCon oder Freifrau. Seit 2006 treibt ihn das Gestalten neuer Synergien von Materialien, Farben und Handwerk an. Dafür wird er regelmäßig ausgezeichnet, wie etwa mit dem Mailänder EDIDA Award für Best Designer of the Year, dem German Design Award oder mit der Aufnahme in die Liste der AD100. Anlässlich des 25-jährigen stilwerk-Jubiläums stellte er seine Installation “Spot on Design” bei uns aus und unterhielt sich mit Tatjana Groß, Geschäftsführerin der stilwerk Hotels und Frances Uckermann über die Zukunft der Interiorbranche.
Frances: Neben deinem Studium hast du Praktika bei Stella McCartney in London absolviert, 2006 hast du dein eigenes Designbüro gegründet. Wie hast du diese Meilensteine geschafft?
Sebastian: Mein Werdegang war mit viel Fleiß, aber auch Niederlagen verbunden. Die ersten Jahre war ich Assistent an meiner Alma Mater, habe an Türen geklopft wie bei der Ambiente, der imm oder in Mailand und versuchte irgendwie Fuß zu fassen. In dieser Zeit habe ich gelernt, wie wichtig es mir ist, möglichst vor Ort zu produzieren.
Wie kam es, dass du mit deinem Team heute aus Offenbach arbeitet?
Durch mein Studium bin ich seit 20 Jahren dort. Gelegen neben Frankfurt war Offenbach bekannt für sein Lederhandwerk. Hier waren Firmen wie Goldpfeil oder Montblanc ansässig, die ihre Taschen in Offenbach fertigten, aber wie viele andere Firmen abgewandert sind. Die Identität der Stadt hat dieser Verlust der Manufakturen sehr geprägt. In Offenbach hab ich meine Begeisterung für Materialität vertieft und Handwerk zu meinem Steckenpferd entwickelt.
Wie hat sich dein Verständnis von Design in den letzten Jahren verändert?
Jeder hat sicherlich sein eigenes Bild von Design. Für mich ist es ein Beruf und eine Leidenschaft, die ich wahnsinnig gerne ausübe. Ich schätze die Zusammenarbeit mit Handwerker*innen oder mit einer Firma zusammen über Design eine Geschichte zu entwickeln. Letztlich prägen aber auch die kulturellen Backgrounds unsere Empfindung. Heute begreife ich Design als Dialog. Es geht für mich stark um Kommunikation zwischen mir und den Kund*innen, später beim Entwerfen zwischen mir und meinem Stift, zwischen meinen Gedanken mit meinem Team, mit dem Computer bis hin mit dem Produkt auf der Messe.
Anlässlich des 25-jährigen stilwerk Jubiläums hast du die interaktive Ausstellung “Spot on Design” bei uns kuratiert. Was verbirgt sich hinter dem Titel und was war dein Konzept?
“Spot on Design” spricht Besucher*innen an, die noch nicht viele Berührungspunkte mit Design hatten. Ich habe zehn Designs ausgesucht, die in ihrer Zusammenstellung einen Überblick über die Designepochen geben. Ausgewählt habe ich etwa den “Bell Table“ von ClassiCon, der nächstes Jahr zehn Jahre alt wird oder auch ältere Designs wie deinen Thonetstuhl, der rund 100 Jahre alt ist. Bei “Spot on Design” bilden quasi Tanzpaare: Eine Leuchte und ein Möbelstück ergänzen sich. Auf einem Tablet erhält man Informationen zu den Designs und ihren Entstehungsgeschichten und kann interaktiv einzelne Designs durch die Lampen beleuchten. Die Ausstellung verbindet Interior Designs mit Storytelling und kommuniziert diese an die Betrachter*innen.
Welchen Beitrag leistet das Design für die Wertschöpfung mit Blick auf die Branche?
Natürlich gibt es einen kulturellen Wert des Designs und des Handwerkes. Auch deswegen finde ich es so wichtig, mit alten Handwerksbetrieben zusammenzuarbeiten, die selbst produzieren wie Thonet oder Zulieferer sind, wie die seit 450 Jahren familiengeführte Glashütte der “Bell Tables”. Der Thonetstuhl ist der meistverkaufte Holzstuhl der Welt und steht für Pionierarbeit aus Deutschland. In “Spot on Design” sind viele Ikonen präsentiert, die jede*r sofort erkennt, selbst wenn ich sie wie bei einem Schattenspiel hinter einem Vorhang beleuchte und man nur die Umrisse erkennt.
Was bedeutet dieser kulturelle Wert des Designs für die Preisgestaltung eines Produktes?
Natürlich gibt es Produkte in Möbelhäuser oder die ich entwerfe, die sich nicht jede*r leisten kann. Aber ich begegnete vielen Menschen, die bewusst für einen Designerstück sparen. Ich schätze das sehr, weil ich sehe, wie besonders diese Menschen das Produkt wahrnehmen und respektieren. Gutes Design wird zum Begleiter und Kompagnon fürs Leben und ist wie Kunst oder eine Wohnung als eine Investition zu betrachten. Oft wird zu viel gekauft, weil es trendy ist und dann später weggeworfen. Wenn ich aber Design wertschätze und es als Investition ansehen, pflege ich es auch länger.
Wie gehen Marken damit um, wenn Kunden zunehmend ihre Design-Produkte als langfristige Investition halten und pflegen wollen?
Unternehmen wie Wittmann unterstützen das. Sie bieten einen Service an, um ihren alten Sofas mit einer Aufpolsterung ein neues Leben einhauchen. Gutes Design bedeutet für mich auch, dass, wenn ich ein Produkt nicht mehr will, es ohne Scham weiterverkaufen zu können, weil es mir nicht peinlich ist. Die vielen Plattformen, auf denen das möglich ist, zeigen, dass Design einen stabilen Wert hat.
Das Design entwickelt sich stetig weiter, weil es immer im Dialog mit sozialen, gesellschaftlichen und politischen Veränderungen steht.
Welcher Bedeutung misst du in Zeiten des Online-Shoppings dem stationären Handel bei und welche Rolle spielt das physische Erleben von Design?
2020 waren mein Team und ich durch das Eintreten der Pandemie mehrere Monate getrennt. Alleine zu entwerfen und ohne Team, Werkstatt und Materialbibliothek zu arbeiten, war schwierig. Es geht um Haptik und darum, eine Atmosphäre zu kreieren. Das hat in den letzten Monaten sehr gefehlt und das erklärt, warum echte Materialien zurückkommen, warum Typologien wie der Schaukelstuhl oder Ohrensessel an Beliebtheit zunehmen. Das sind Formen und Materialien, die für Tradition stehen und die uns in der digitalen und rasanten Welt erden.
Was sind Fragen, die du dir beim Entwerfen oder die sich Kund*innen beim Investieren in Designs stellen?
Im Gegensatz zu Fast Fashion fragt die Modeindustrie mit Bewegungen wie Slow Fashion nach bewussterer Produktion und Konsum. Auch im Design wollen wir in Hinblick auf Slow Design oder Slow Furniture verstärkt wissen, wo Materialien herkommen, ob Produkte regional oder im Unternehmen produziert werden, wo die Materialien herkommen, ob Produkte recycelt oder repariert werden können. Es benötigt Zeit und aufgeschlossene Kunden, um Produkte verantwortungsvoll und nach besagten Parametern entwickeln zu können.
Wo siehst du die Zukunft des Designs und der Branche?
Das Design entwickelt sich stetig weiter, weil es immer im Dialog mit sozialen, gesellschaftlichen und politischen Veränderungen steht. Mit Blick auf die neue Regierung und ihren Themenschwerpunkten muss auch das Design, die Industrie und wir als Gesellschaft unsere Antworten finden. Wir müssen unser Konsumverhalten ändern und uns als Designer*innen unserer großen Verantwortung in diesem Bereich bewusst werden.
Fotos: stilwerk