Selten war die Frage, wie wir wohnen, aktueller als mit dem Beginn der Corona-Pandemie. Die Art, wie wir uns einrichten und mit welchen Designs wir uns umgeben, beschäftigt das stilwerk bereits seit 25 Jahren. Anlässlich ihres Jubiläums war das stilwerk zusammen mit Produktdesigner Sebastian Herkner und seiner Installation“Spot on Design” bei uns zu Gast. Wir haben mit Tatjana Groß, Geschäftsführerin der stilwerk Hotels, über die Bedeutung von Wohnen und Design gesprochen und sie gefragt, wie sie die Zukunft der Interior-Branche sieht.
Frances Uckermann: Welchen Beitrag leistet Design deiner Meinung nach?
Tatjana Groß: Design ist ein verbindendes Element und es hilft in den Austausch zu kommen, was ich für unsere Zeit sehr wichtig finde. Wir spüren das ganz stark in unseren Hotels: Menschen kommen über Design ins Gespräch und das hat etwas sehr Schönes und Soziales.
Haben die Bedürfnisse von Kund*innen und ihre Erwartungshaltung an Design seit der Pandemie und Lockdowns verändert?
Im Grunde hat die Pandemie die Grundbedürfnisse nach Zugehörigkeit und Geborgenheit wieder verstärkt. Ein schönes, privates Umfeld wie das eigene Zuhause ist für viele Menschen in den Fokus gerückt, zumal die Verknüpfung von Arbeit, Wohnen und Freizeit teilweise nur dort stattfinden konnte. Aber auch ein bewussterer Konsum und eine klare Tendenz zum Virtual Shopping sind spürbar.
Wie reagieren Marken auf diese veränderte Erwartungshaltung?
Alexander Garbe als Inhaber der Marke hat bereits in den ersten zwei Wochen der Pandemie für unsere Partnermarken das digitale Schaufenster kostenfrei geöffnet, um eine höhere Sichtbarkeit zu erzielen. Das Angebot an Services wie Terminbuchungen und Onlineberatungen, aber auch die Erweiterung, respektive Anpassung des Portfolios der Marken wurde sehr schnell umgesetzt.
Welcher Bedeutung messt ihr in Zeiten des Online-Shoppings dem stationären Handel bei und welche Rolle spielt das physische Erlebnis von Design?
Es gibt eine magische Grenze, bis zu der Menschen bereit sind, Geld zu investieren, ohne Material und Oberflächen gefühlt zu haben. Aber: Das eine wird das andere nie ersetzen. Wir sind überzeugt, dass der stationäre Handel wichtiger bleibt. Wir bewegen uns in einem Feld, in dem Menschen Designs haptisch erleben möchten und neugierig sind, wie sich die ausgewählten Materialien anfühlen.
Unterbrochene Lieferketten sind seit 2 Jahren für viele Marken eine große Herausforderung und die Frage, wo man produziert und wie Produktionswege verkürzt werden können, ist aktueller denn je. Wie behandelt ihr diese Herausforderung?
stilwerk arbeitet schon immer mit Marken zusammen, die in weiten Teilen in Europa produziert werden und unterstützt auch gerne kleinere Manufakturen in Form von Pop Up’s, um sich präsentieren zu können, somit ist die Herausforderung für unsere Marken nicht so groß.
Ein Aspekt von Nachhaltigkeit ist sicherlich der Wert und die Langlebigkeit der Produkte und die Frage nach einer umfassenden Kreislaufwirtschaft. Wie geht das stilwerk damit um?
Alexander Garbe hat als stilwerk Inhaber das Thema Nachhaltigkeit bereits vor Jahren offensiv angestoßen, da war die Resonanz noch eher verhalten. Umso mehr freuen wir uns über die inzwischen gewachsene Bereitschaft der Marken, sich mehr darüber auszutauschen. Für uns ist es ein Mehrwert, wenn ein Möbelstück ein längeres Leben hat und nicht in der Ecke verstaubt oder im schlimmsten Fall entsorgt wird. Einige Marken im stilwerk Kosmos gehen hier schon innovative Wege und wir unterstützen sie gerne darin.
Welche weiteren Themen und damit vielleicht auch verbundenen Herausforderungen beobachtest du in der Interior-Branche und bei Interior-Marken?
Das Konsumverhalten ändert sich, vor allem bei den nachfolgenden Generationen. Die Globalisierung, die damit verbundene Dynamik und stetige Veränderung des Lebensmittelpunktes sind hierbei entscheidende Kriterien. Unsere Kund*innen richten sich durchschnittlich alle 6-7 Jahre neu ein, wird das in Zukunft noch so sein? In den Niederlanden liegt der Durchschnittswert bei gerade mal 3-4 Jahre.
Alexander Garbe ist der Gründer und Inhaber von stilwerk. Er hat gesagt, dass sich Konzepte abnutzen und dass man sich ständig neu erfinden muss. Er glaube nicht an Disruption als Innovationstreiber, sondern an die Ergänzung von Bestehendem. Es gehe darum, die Marke zu erweitern. Was bedeutet das für das stilwerk?
“Wir sind zeitlos, wir gehen nicht jedem Trend hinterher.” Das ist die Überzeugung von Alexander, der wir bei stilwerk folgen. Diesen Anspruch nehmen wir als Leitlinie auch für die nächsten 25 Jahre. Nichtsdestotrotz haben wir einen Wandel um uns herum: Kund*innen und die Designbranche verändern sich. Ein konkretes Beispiel ist hier unser Hotel in Hamburg, welches wir einem Schlüsselerlebnis auf der Messe in Mailand verdanken: Jede große Marke hatte dort ein Palazzo angemietet, aber man konnte die Designs nicht anfassen oder ausprobieren. Wir fragten uns:
Wie wäre es, wenn wir die Produkte von unseren Marken in ein Hotel bringen und den Gästen die Möglichkeit geben, die Designs auszuprobieren und mit ihnen zu wohnen?
Uns ging es darum, eine spannende Erweiterung für Menschen zu entwerfen, die sich für Design interessieren. Gefühlte sechs Wochen später hat Alexander dann schon das erste Hotel erworben.
Wie herausfordernd war es, das Hotel zu entwerfen?
Wir haben den Umbauprozess komplett intern betreut und uns im Team intensiv an der Frage, wie wir Design und Hotel, Retail und Hospitality, Space und Service zusammenbringen, gerieben. Ich komme aus der Hotellerie und hatte die Haltung “Am Ende muss es auch funktional sein.” Die Kollegen*innen hingegen hatten die gestalterische Gesamtkomposition im Blick, aber wir haben es als Team geschafft, das übergeordnete Ziel, nämlich für unsere Marken, Kund*innen und Gäste einen besonderen Ort zu kreieren, in den Vordergrund zu stellen und sind sehr stolz auf das Ergebnis.
Wie war das erste Feedback?
Seitdem das Hotel wieder eröffnet hat, haben wir ein Brandbook entwickelt, das alle Produkte vom Stuhl bis zur Wandfarbe umfasst. Das Interesse der Menschen ist so hoch, dass sie sich beispielsweise nach der Farbgebung der Wände erkundigen, um diese bei sich zu Hause zu verwenden oder Produkte bei den Marken direkt anzufragen. Die Gäste heben die Atmosphäre hervor, die Authentizität und Freundlichkeit der Mitarbeiter:innen Wir freuen uns, dass alle diese Faktoren dazu führen, dass die Menschen das Hotel als Inspirationsquelle ansehen.
Wo siehst du das stilwerk, wenn ihr in 25 Jahren den 50. Geburtstag feiert?
Eine Frage, die Alexander beantworten sollte, ich versuche mal, seine Gedanken hier wiederzugeben: Wir wünschen uns und arbeiten stetig daran, weiterhin als Institution zu gelten und dass wir es schaffen, in den nächsten 25 Jahren uns immer wieder neu zu erfinden, trotzdem eine Konstante darstellen und diese Zeitlosigkeit erhalten.
Fotos: Porträt Tatjana Groß: Niculai Constantinescu Photography, stilwerk Event: stilwerk , Hotel stilwerk Heimhude: K.Sickinger